Frederic Vester: Das menschliche Genom - vernetzt gesehen


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Kapitel 8: Das menschliche Genom - vernetzt gesehen (S. 133-146: aus ?Die Kunst, vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität. Ein Bericht an den Club of Rome“, Taschenbuch, 384 S., Mai 2002, 6. Auflage 2007)

Schlagzeilen wie "Der Mensch ist entschlüsselt", "Mit Gentechnik Krebs und Aids beseitigen", "Menschen nach Maß", "Goldgräber im Genlabor", "Buch des Lebens liegt offen", "Evolution in eigener Regie" oder "Schlüssel zur Menschwerdung" klingen nach einer Jahrtausendentdeckung. Doch erstens sind sie irreführend und simplifizieren dazu einen im Grunde hochkomplexen Vorgang. Mit nunmehr einigem Abstand zu der im Frühjahr 2ooo in den Medien proklamierten "Entschlüsselung" des menschlichen Genoms erscheinen die Dinge nicht mehr ganz so sensationell. Entgegen den von den Medien hochgespielten Mitteilungen der Bioinformatiker sind in den mit den neuen Methoden erfassten Datenbanken zwar inzwischen viele der über 3 Milliarden Buchstaben ( Basenpaare) des genetischen Code in ihrer Reihenfolge kartiert, das menschliche Genom ist damit jedoch keineswegs entschlüsselt. Sein Code ist zwar bekannt, man weiß wie er aussieht, kennt seine lineare Anordnung, aber man versteht ihn nicht. Es ist so, als ob man die Buchstaben einer Schrift entziffert hätte, was noch lange nicht heißt, dass man nun automatisch den Text lesen oder ihn gar - was eine weitere Dimension verlangt - verstehen könnte. So wie wir die Buchstaben des menschlichen Genoms jetzt sehen - linear aneinander gereiht -, führt die Intepretation des Code in die Irre.
Aber selbst die jetzt mitgeteilte Kartierung wird von manchen Forschern angezweifelt. Der Biomathematiker Samuel KARLIN (Stanford University) zeigte zudem durch Vergleich mit bereits gesicherten Codesequenzen, dass bei der von Craig VENTER, dem "Bill GATES der Genforschung", angewandten Sequentierungstechnik höchstens ein Drittel der Genomkartierung in Ordnung sein dürfte, ein Drittel mit Fehlern behaftet, den Rest hält er für Datenschrott. Also ein noch unübersichtliches Durcheinander- so, als wenn man ein Puzzle zusammensetzen müsste, dessen Teile mit denen anderer Puzzles vermischt sind.

Kartieren heiBt noch nicht verstehen
Abgesehen davon, dass also die Gesamtkartierung selbst noch nicht zweifelsfrei ist, liegen - und das ist die eigentliche Crux - die komplexen Funktionen auch der korrekt kartierten Gene nach wie vor völlig im Dunkeln. Das Zusammenspiel der von den Genen abgelesenen Proteine und ihrer Wechselwirkungen im Organismus wird bis heute nicht verstanden. Viele seriöse Wissenschaftler distanzieren sich daher inzwischen von dem Aufhebens, das um die vermeintliche Entschlüsselung der genetischen Information gemacht wird. In den heißen Diskussionen auf der Lindauer Tagung der Nobelpreisträger vom Sommer 2000 kam dies auch deutlich zum Ausdruck.
Was derzeit als große Entdeckung propagiert wird, ist zudem nicht einmal so neu. Schon 1969, basierend auf den Entdeckungen von CHARGAFF, LEVINE, CRICK, WATSON und anderen konnte ich in der zweiteiligen Folge des NDR "Ein Code wird entschlüsselt" mit den Untertiteln "Vorstoß in die lebende Materie" und "Geheimnis des Lebendigen" die Struktur der spiraligen DNS und die Vorgänge bei der Ablesung des Codes in elektronenmikroskopischen und Trickaufnahmen darstellen. Was neu ist, sind die für die Sequenzierung der Genabschnitte eingesetzten - in der Tat beeindruckenden - Techniken. An neuen Erkenntnissen über die komplexen Vorgänge der genetischen Steuerung der Lebensvorgänge haben jedoch gerade diese praktisch nichts hervorgebracht. Der Zellbiologe Günter BLOBEL (Medizin Nobelpreis 1999) sieht denn auch in der propagierten "Entschlüsselung" lediglich einen - allerdings atemberaubenden - technischen Fortschritt, weil nunmehr die Sequenzierung der DNS in fabrikmäßigen Roboteranlagen mit einem kontinuierlichen Durchsatz von 1ooo Basenpaaren pro Sekunde (!) von Computern übernommen wird, die bisher mühsam "von Hand" erfolgen musste. Ähnlich kritisch sieht Sir James BLACK (Medizinnobelpreis 1988) die "aufgebauschte Berichterstattung" und die "voreiligen Versprechungen" für eine zukünftige medizinische Anwendung dieser Ergebnisse.
Um es deutlich zu sagen: So enorm dieser Fortschritt in den computergesteuerten Techniken zur Gen-Kartierung auch ist, so ist der dadurch entstandene Zugewinn an Erkenntnissen über die Lebensvorgänge doch praktisch null. Schließlich kommt man durch einen auch noch so intelligenten Umgang mit den Sequenzier-Automaten noch lange nicht dem komplexem Spiel der Lebensvorgänge auf die Spur. Die Mär von der "Entschlüsselung des Erbguts", mit der nur ein verstümmeltes Alphabet entziffert wurde, aber noch längst nicht die vernetzte Bedeutung der Worte, die Satzzeichen oder gar die Grammatik, vom Sinn dieses Textes ganz zu schweigen, verleitet leider nur allzu leicht zu dem Glauben, dass dieser kleine Blick hinter die Kulissen genügt, um Lebensvorgänge besser als die Natur steuern zu können. Dabei ist es eher so, als ob hier Analphabeten versuchten Texte zu verbessern, die sie überhaupt nicht lesen können - und dafür sogar noch Bewunderung und Forschungsmittel in Milliarden Höhe einheimsen. Eine Einschätzung, die auch von dem genialen Nukleinsäureforscher Erwin CHARGAFF geteilt wird, der schließlich wesentliche Impulse zu der 5ojährigen Entwicklungsgeschichte dieses Forschungssektors beigetragen hat.

Bisher keine Anzeichen für die Heilung von Krankheiten
Für die Heilung der typischen Volkskrankheiten wie Herz-Kreislaufschäden, Diabetes, Schlaganfall oder Asthma haben die Kartierungserfolge der Genforscher zunächst keine Bedeutung. Auch Alzheimer, Krebs und das Altern selbst sind Vorgänge, deren Entstehung immer ein komplexer Vorgang ist, der aus dem gestörten Zusammenspiel zahlreicher Gene resultiert und in den zudem noch Einflüsse von Umwelt und Lebensweise hineinspielen. Selbst durch die vollständige Erfassung des Erbguts sind all diese Krankheiten weder besser vorhersagbar noch besser zu behandeln. Und selbst wenn sich ein verändertes Gen einer Krankheit zuordnen lässt, weiß man weder, welche Abweichung genau zu der Krankheit führt, noch ob diese allein oder ob auch noch andere Gene daran beteiligt sind. So wurde bei Brustkrebs zunächst ein Genfehler auf Chromosom 17, später aber auch auf Chromosom 13 entdeckt. Dann stellte man fest, dass überhaupt nur 5 Prozent der Brustkrebsfälle mit genetischen Fehlern zu tun haben, aber man weiß nicht einmal, welche davon zu Krebs führen und welche nicht. Mit den bisher erfassten Genom-Daten eine Therapie anzusteuern, ist daher eher unsinnig, wenn nicht sogar gefährlich.
Diese Vorsicht gilt erst recht, wenn man auf der Basis der Gen-Kartierung versucht, mit Hilfe von Viren (als Transporter) Gene einzuschleusen und damit Menschen zu heilen. Eine Gen-Behandlung wird dann zum russischen Roulette. Nachdem hier auch schon die ersten Todesfälle zu beklagen sind, halten Kritiker die Gentherapie zur Reparatur von defektem Erbgut oder den Ersatz durch ein intaktes Gen einstweilen für zu riskant, bestenfalls für wirkungslos. Die Aussicht wirksamer Gentherapien als Druckmittel für die Förderung der Stammzellenforschung einzusetzen, ist daher in höchsten Maße unmoralisch.


"Abb 35 Ubertragung der Gen-Information auf den "Betrieb" der Zelle
Das Schema zeigt den komplizierten und einer mehrfachen Kontrolle unterworfenen Übergang vom Ruhezustand einer bestimmten Zellfunktion auf deren Aktivierung. Das ständige komplexe Spiel zwischen Transkriptionshemmung und ihrer Aufhebung ist hier noch stark vereinfacht dargestellt.
Links: Ein DNA-Strang enthält Abschnitte mit sehr unterschiedlichen Aufgaben. Zum Beispiel Regulatorgene, die zur Regulierung der Protein- oder Enzymsynthese so genannte Repressoren (meist basische Proteine, z B. Histone) an bestimmte Operatorgene schicken, um dort zu verhindern, dass diese ohne Auftrag den Befehl zur Enzymsynthese an die ihnen untergeordneten Strukturgene weitergeben. Die Synthese findet nicht statt - es sei denn, ein Induktor, meist ein Hormon, entfernt diesen Repressor so wie im rechten Teil der Abbildung.
Rechts: Der nicht mehr unterdrückte Abschnitt des Operatorgens kann den Befehl zur Transkription (Informationsübertragung) des ihm zugeordneten Strukturgens weitergeben. Mit Hilfe einer Boten-Nukleinsäure, der Messenger RNA, die den abgelesenen Code übernimmt, wird nun an den Ribosomen, einer Art Knüpfmaschinen, aus einzelnen Aminosäure das dem Code entsprechende Proteinmolekül aufgebaut, das als Endprodukt häufig in negativer Ruckkopplung für den erneuten Stopp des ganzen Vorgangs, das heiBt fur erneute Repression, sorgt."


Gezielte Verbesserung des Genmaterials ist nicht möglich
Durch die Fixierung auf die reine Kartierung sind Fragen nach der Kybernetik und damit der Komplexität der genetischen Abläufe weiterhin unbeantwortet geblieben. Dass man dennoch mit Hilfe von Genmanipulationen die vorhandenen spärlichen Kenntnisse auch zu Eingriffen in die natürliche Evolution des Menschen einsetzen könnte, ist eine Befürchtung, die auch bei dem erwähnten Treffen der Nobelpreisträger in Lindau deutlich zum Ausdruck kam.
Auch Werner BAPRTENS beklagt in seinem hervorragenden Buch "Die TyTannei der Gene" die mangelnde Kenntnis der Gentechniker über das Zusammenspiel molekularbiologischer Vorgänge, etwa über die komplexe Wirkung beim An- und Abschalten der Gene durch Repression und Induktion, weshalb sie immer noch hoffen, auch die massiven Fehler beim Klonen eines Tages überwinden zu können. Es scheint ihnen nicht klar zu sein, dass sich mit der Veränderung eines Gens nicht nur eine bestimmte Funktion verändert, sondern die Beziehung aller Genne zu allen. So wie in einem Text schon ein anderes Wort, ja schon ein neuer Buchstabe den ganzen Sinn verändern kann. Aber wenn ein Text einmal dasteht und man die Buchstaben kennt, kann man ihn wenigstens ablesen - selbst wenn man die Sprache nicht versteht. Mit der Informationsweitergabe in der Zelle ist es dagegen weit komplizierter. Auch wenn die einzelnen Buchstaben (Basenpaare) der DNS linear aneinander gereiht und die davon übersetzten Worte (Aminosäuren) und Sätze (Proteine) exakt bestimmt wären, könnte noch keine Aussage darüber gemacht werden, welche davon wann gelesen und befolgt werden, noch wie sie wiederum andere "Worte" und "Sätze" beeinflussen, zumal bei jedem Teilungsschritt wieder Variationen in diesem Spiel auftreten.
Hinzu kommt, dass die DNS, so wie die Sequenzforscher sie beschreiben, nämlich als lineare Kette, in ihrer aktiven Form so nie vorliegt. Ähnlich wie schon der Chromosomensatz, der nur während der Zellteilung vorübergehend sichtbar wird, ist auch die DNS normalerweise verknäult. Damit treten Nachbarschaften und somit auch Wechselwirkungen mit weit entfernten Genabschnitten der Kette au£ Aus der linear auseinander gezogenen Kette kann man daher keinerlei Schlüsse ziehen, welche Gene über welche Proteine mit welchen anderen Genen kooperieren, warum und wann welche Gene sich zum Ablesevorgang auseinander falten oder nicht. Nicht im Gen selbst und auch nicht in einem noch so genauen Studium seines Aufbaus oder seiner unmittelbaren Nachbarschaft, sondern im Muster seiner Wechselwirkung mit allen anderen Genen und dem übrigen Geschehen im Zellkern liegt das Geheimnis seiner Rolle. Neuere Arbeiten zur Simulation der vernetzten Abläufe in einer einzelnen Zelle, wie sie aus der Stoffwechselkarte auf Seite 120 hervorgehen, kämpfen mit der hohen Komplexität des Geschehens, etwa dass jedes der Tausende von Enzymen nicht nur von seinem Produkt, sondern von vielen anderen Substanzen des zellulären Netzwerks beeinflusst wird. Das An- und Abschalten durch eingeschleuste Substanzen geht, wie wir im letzten Kapitel sahen, zudem in beide Richtungen. Nach Wolfgang WIECHERT von der Universität Siegen ist daher die Komplexität solcher Simulationsmodelle nur zu meistern durch eine ausgewogene Balance zwischen der Fülle unbekannter Parameter und den wenigen verfügbaren Messdaten - zumal jede Einzelzelle in ihrem Verhalten wieder von ihrer Anordnung im Zellverband abhängt. All dies steht in Wechselwirkung mit einem nur bruchstückhaft bekannten genetischen Regulationsnetzwerk.

Nicht die Reihenfolge der Gene - ihre Muster gilt es zu verstehen
Die bloße Sequenzierung der Gene wird uns also wenig helfen, um das im Erbgut einer Zelle angelegte komplexe Geschehen je zu verstehen auch wenn an der restlichen Aufdeckung der Buchstabenkette dieses im Grunde grandiosen Textes weiterhin weltweit an die hundert Institute mit ihren oft 20 Mann starken Teams und einem beeindruckenden apparativen und finanziellen Aufwand arbeiten. Der Anspruch, der aus dem derzeitigen Erkenntnisstand abgeleitet wird, ist auf jeden Fall zu hoch gegriffen.
Ein Gen sinnvoll zu manipulieren und den dadurch ausgelösten Gesamteffekt zielgerichtet zu steuern, ist allein schon deshalb nicht möglich, weil sich das Leben nicht in der DNS, sondern in Zigtausenden von Proteinen abspielt, die in einem komplizierten Übersetzungsvorgang nach dem Bauplan der DNS entstehen. Von ihnen enthalten unsere Chromosomen einen mindestens genauso großen Anteil, wie an der DNS selbst. Regulatorgene, Operatorgene und Strukturgene im Zusammenspiel mit der RNS (die den Code übersetzt), den Histonen (Proteine, die das verhindern) und aktivierenden Hormonen (die latente Texte aufdecken) - haben beim An- und Abschalten von Informationen ganz unterschiedliche, miteinander verwobene Funktionen, wanach sich die Proteine in bestimmter Weise falten und wiederum miteinander und mit den Genen in Wechselwirkung stehen. Die Komplexität der Lebensvorgänge kann daher weit eher über das Muster der Transkriptionsabläufe, also der Übersetzung von der DNS-Sprache in die Protein-Sprache und deren Steuerung erfasst werden als durch das simple Zählen der Gene. In diesem Zusammenhang empfiehlt der Budapester Evolutionsbiologe Eörs SZATHMARY den Genom-Zählern, endlich in den komplexen Netzwerken der Gen-Regulation zu denken und Gleichungen einzusetzen, wie sie die Ökologen für die multiplen Interaktionen in Nahrungsnetzen anwenden.

"Abb. 36 Chromosom 13
Ausschnitt aus der Genomsequenz eines der kleineren menschlichen Chromosomen. Die ca. 8 Millionen Basenpaare dieses winzigen DNA-Stücks enthalten die Information zur Synthese von über 40 verschiedenen Proteinen. Das gesamte Genmaterial einer Zelle, das etwa 12.000 Proteine steuert, hätte in diesem Maßstab eine Lange von über 20 Metern."


Klonen gleich Inzest hoch zwei
Noch ein Wort zum Klonen "vorprogrammierter" Lebewesen. Da das Kopieren von Genabschnitten als Rekombinationsverfahren bei der Entzifferung des Codes eine wichtige Rolle spielt, gehören solche Versuche schon seit langem zum Repertoire der Genforscher. Das Klonen in Zellkulturen und die Herstellung von Schimären, etwa zwischen Maus und Mensch, das Erwecken schlafender Informationen (etwa beim Axolotl, einem Wasserlurch, der sich durch Hormonzugabe zu einem Landtier entwickelte, das es gar nicht gibt) waren Dinge, über die ich schon in meinem 1974 erschienenen Buch "Das kybernetische Zeitalter" unter Überschriften wie "Genetisches Babylon" oder "Der zwielichtige Homunkulus" berichtete.
Aus der hier schon angedeuteten Universalität des genetischen Code für die gesamte lebende Welt (wodurch wir nicht nur mit Affe und Maus, sondern auch mit Wurm, Gras und Bakterium verwandt sind) erklärt sich auch die groBe Zahl nicht benutzter und vielfach wiederholter Sequenzen in unserem heutigen Genom. Denn irgendwie scheint, zumindest bruchstückhaft, die ganze Evolution, die wir durchlaufen haben, latent darin enthalten zu sein, also auch die genetische Information vergangener und wahrscheinlich auch zukünftiger Lebensformen. Ein unverzeihlicher Fehltritt wäre es, wenn wir die Artenbarriere, mit der die Natur bisher - trotz dieser universellen Verwandtschaft - die Eigenheit aller Lebensformen geschützt hat, durch ein reproduktives, und damit irreversibles Klonen durchbrechen würden.
Da man über die schon lange bekannten Schritte der Transkription, der Steuerung an den Regulator-, Operator- und Strukturgenen hinaus bis heute nicht weiß, wie und warum die Gene im Zusammenspiel mit den übrigen Zellbestandteilen wie der RNS, den Ribosomen und Enzymen zu einem lebenden Organismus und dessen sich selbst regolierenden Funktionen führen (und darin wird man auch durch noch so genaues Notieren der Genabschnitte und ihrer Reihenfolge nicht weiterkommen), wird das Klonen von Lebewesen nur mit schwerwiegenden Fehlerquoten durchzuführen sein. Derzeit jedenfalls sind Missbildungen beim Klonen die Regel. Fast alle bislang kopierten Tiere weisen Fehler in ihrem Erbgut auf. Die meisten sterben schon vor ihrer Geburt, viele werden zu Krüppeln. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass das 1996 mit riesigem PR-Aufwand präsentierte Klon-Schaf Dolly erst nach 277 Miss- und Totgeburten zustande gekommen war. Rudolf JAENISCH wies in seinen Arbeiten am MIT (Massachussetts Institute of Technology) darauf hin, dass viele geklonte Mäuseembryonen falsche Prägemuster ihrer Gene aufweisen, von denen manche bei überlebenden Mäusen erst später zum Vorschein kommen. Solche Fehler würden auch beim Klonen von Menschen auftreten und eben nicht nur zum Absterben des Embryos, sondern später zu gravierenden Schäden des Kindes oder des Erwachsenen führen können.
Die Gründe liegen auf der Hand: Bei allen Versuchen, Lebewesen zu duplizieren, kommt unvermeidbar der evolutionäre Zufallsgenerator ins Spiel. So entstehen bei jedem Kopieren sprunghafte Erbänderungen (Mutationen) auf den Regulator- und Operatorgenen. Die Folge ist, dass sich diese Defekte beim Klonen multiplizieren.
Ein weiteres Manko liegt darin, dass die für jede Körperzelle lebenswichtige Symbiose mit den Mitochondrien (den Atmungspartikeln der Zellen) nach dem Klonen nicht in Gang kommt, denn Mitochondrien und deren eigenes Erbgut werden beim Klonprozess nicht mit übertragen. Der Klonvorgang wird somit zum Freibrief für jegliches Krebswachstum, dessen Hauptkontrolleur die Atmungskette der Mitochondrien (in Konkurrenz zur Glykolyse der Krebszellen) ist. Selbst Hubert MARKL ist sich -obgleich Befürworter der Gentechnik keineswegs sicher, "ob embryonale Stammzellen nicht ihrerseits zu krankhaften Entwicklungen, etwa zu cancerogener Entartung führen können", und hält den deutsch-französischen Antrag an die Vereinten Nationen, das reproduktive Klonen weltweit zu verbieten für äuBerst dringlich (in Analogie zum Klonen von Lebewesen nennt er den Medienrummel über dieses Thema spöttisch "ein unerschöpfliches Klonen von Nachrichten"). Aber selbst wenn Klonen zu einem lebensfähigen Wesen in der ersten Generation gelingen würde, so dürften sich in den Folgegenerationen die vielen Fehler eines jeden Chromosomensatzes, die durch die Kreuzung mit anderem Erbmaterial und die heterosexuelle Fortpflanzung normalerweise immer wieder "ausgemendelt" werden, perpetuieren und mit jedem weiteren Schritt verstärken. Schon Kinder von nahen Verwandten zeigen genetische Schäden (daher das Tabu vom Inzest in allen Kulturen), erst recht wurde dies fur geklonte Kinder von ein und demselben Individuum zutreffen, so dass statt einer positiven Auswahl von Erbgut dessen rasche Denaturierung einträte.
Die Vision von geklonten Supermenschen schreckt mich auf Grund der Kompliziertheit des Vorgangs jedoch im Grunde weit weniger als der Einsatz genmanipulierter Tomaten, Mais- oder Rapssorten, die schließlich ganze Boden- und Ökosysteme umkippen lassen können. Sind sie einmal freigesetzt, dann haben wir die Weiterentwicklung nicht mehr in der Hand. Das Klonen eines Menschen dagegen bleibt wohl eher ein Einzelvorgang, der - wenn er je gelange - sehr rasch die Imponderabilien dieser Entwicklung zeigen und als Weg nicht lange verfolgt werden dürfte.

Transplantierbare Organe aus E-Stammzellen sind ein Unding
Embryonale Stammzellen entstehen in den ersten Teilungsschritten, nachdem Samen und Eizelle verschmolzen sind. Sie stellen das erste noch undifferenzierte Leben dar. Wenn wir damit also schon nicht über den Klonvorgang einen ganzen Menschen designen können, lassen sich daraus aber vielleicht wenigstens transplantationsfähige Organe entwickeln? Konglomerate von Leber-, Nieren oder Hirnzellen aus der Petrischale, für die kein Spender mehr gefunden werden muss? Der Australier Peter MOUNTFORD (bekannt geworden durch das I994 an ihn erteilte erste Patent für die Isolierung embryonaler Stammzellen zur Herstellung genetisch veranderter Tiere) hält jedenfalls viel vom therapeutischen Klonen "zur Linderung menschlichen Leids". Er verschweigt, dass diese noch undifferenzierten Zellen in einem Körper aus den erwähnten Gründen wohl eher Krebs als den von ihm erhofften "segensreichen Effekt" entfalten dürften, wenn sie nicht ohnehin abgestoBen würden. Denn Gewebe und Organe will man ja gerade deshalb aus den Stammzellen züchten, weil sie Alleskönner sind. Aber genau darin liegt die Gefahr.
Denn auch Krebszellen sind ja gewissermaßen undifferenzierte Alleskönner, die als vielleicht ehemals differenzierte Haut- oder Darmzellen in den Embryonalzustand zurückgefallen sind und den Sigualen des Organismus nicht mehr gehorchen. Da sie ursprünglich zum Organismus gehörten, werden sie auch immunologisch zunächst nicht als Fremdzellen erkannt.
Wieder einmal sind also die Versprechungen der Gentechniker überzogen. Bisher jedenfalls ist noch keine einzige Krankheit mit embryonalen Stammzellen geheilt worden. Wissenschaftler mehrerer Fachgebiete der Universität Bonn lehnen daher auch in einem eigenen Manifest Forschungspläne mit menschlichen embryonalen Stammzellen zur Herstellung von Ersatzgewebe für die Behandlung von Gehirn- und anderen Erbkrankheiten ab. Die Fördermittel könnten anderweitig mit weit gröBeren Aussichten in der Medizin eingesetzt werden.
Ich kann mich dieser Meinung nur anschlieBen. Denn mit dem Klonen von Organen wird das Potential einer Keimzelle, die ja die Entwicklung eines ganzen Menschen in sich trägt, in Richtung auf ein einziges Organ kanalisiert, sozusagen der Impetus eines kompletten menschlichen Wesens beschnitten und zur Ausbildung eines bloßen Leber-, Nieren- oder Hirn"monsters" gebracht. Eine weitere Horrorvorstellung, abgesehen davon, dass damit, wie gesagt, eine spätere canceröse Entwicklung des eingesetzten Organs vorgegeben ist. Die Absage an den Einsatz embryonaler Stammzellen wäre demnach nicht nur aus ethischen Betrachtungen heraus zu begrüßen.
Warum also nicht statt undifferenzierter Keimzellen adulte Stammzellen verwenden? Weil diese schon zu sehr differenziert sind? Genau dies scheint mir irrelevant, ja, eher ein Pluspunkt zu sein. Denn gesundes Lebergewebe wurde bereits mit Leberstammzellen, Blut mit Knochenmarkzellen aufgebaut und kürzlich offenbar auch Muskelgewebe des Herzens durch Injektion von Stammzellen des gleichen Patienten neu aufgebaut. Zellkulturen aller möglichen gesunden und kranken Gewebe gehören ohnehin seit Jahrzehnten zum Werkzeug der Forschung.
Über die Neuzüchtung von Geweben hinaus, also mit der Züchtung ganzer Organe sieht es allerdings wieder schlecht aus. Komplette innere Organe sind zu komplex, um sie aus Zellen und Gefäßen nachzubauen. Die Transplantation mittels Organspende wird daher noch lange Zeit einfacher sein als die Züchtung funktionierender innerer Organe.

Des Kaisers neue Kleider
Wir stehen vor dem Phänomen, dass durch die Lancierung übertriebener Hoffnungen auf einmal ein Spezialgebiet der Wissenschaft, auf dem schon über so Jahre erfolgreich gearbeitet wird, auf ein Podest gehoben wurde, als ob es in der Lage sei, Geißeln der Menschheit wie Krebs, Alzheimer, Genschäden zu beseitigen. Die Förderung der Gentechnik wird mit einem Appell an die Menschlichkeit verbunden, dem sich keiner unserer Politiker entziehen zu dürfen glaubt. Wieder muss ich hier den Vergleich mit den Alchimisten des Mittelalters heranziehen, die als Experten im Schmelzen und Auflösen von Metallen den Herrschern vorgaukelten, aus Blei Gold machen zu können.
Ähnlich wie hier und in den genannten Fällen im Energiebereich (Fusionsenergie, Schneller Brüter) geht es wohl auch bei der Genforschung vor allem um die Zuteilung von Fördermitteln. Wie man sieht, mit Erfolg. Bundeskanzler SCHRÖDER will die Biotechnik großzügig fördern (allein 1,5 Milliarden DM für die Genforschung), "weil es Wohlstand und Arbeitsplätze garantiert"(!). Es ist das alte Lied von des Kaisers neuen Kleidern. Und je komplizierter man im akademischen Jargon die Dinge ausdrückt, umso eher kann man die Schwächen solcher Vorhaben überspielen.
Der australische Biotechnologe Maxime PARIS spricht vielen ernsthaften Wissenschaftlern aus der Seele, wenn er sich scharf gegen das "Bubble blowing", das Windmachen der Genforscher wendet, deren "dominierendes Anliegen die Geschäftemacherei und nicht die Wissenschaft ist. Man behauptet, über wichtige Entdeckungen zu verfügen, redet über zehnmal mehr Datendurchsatz, als man hat, und kündigt jede Menge Patente an." Auch die vorsichtigen Aussagen von Präsident Hubert MARKL auf dem letzten Max-Planck-Forum zur Genomforschung in München können daher als eine Art "Gewinnwarnung" für die biotechnologische Forschung verstanden werden, die nun zeigen muss, was sie der Menschheit für die zugesagten 1,5 Milliarden DM bringt. Und da wurde es jetzt ratsam, die Erwartungen wieder etwas herunterzuschrauben - vor allem, da die Ankündigungen über die Möglichkeiten der Genforschung zum Teil so unseriös waren, dass die Genforschung selber in Verruf zu geraten drohte.
Zurück zur Kybernetik der normalen Lebensvorgänge. Warum einen Patienten bei einer für ihn ungesunden Lebensweise belassen und die Schäden durch immer neue Medikamente oder gar Eingriffe in sein Erbgut, unsere genetische Basis bekämpfen - ein Aufwand, der ohnehin nicht mehr bezahlbar ist -, anstatt ihn frühzeitig auf dem Weg einer Verhütung und Vorbeugung zu unterstützen, der unter Mobilisierung der körpereigenen Selbstheilungskräfte nicht nur nichts kostet, sondern durch aktive Mithilfe bei der Aufrechterhaltung der physischen auch die psychische Gesundheit stärkt. Die Notwendigkeit einer kybernetischen Medizin - notwendig nicht nur aus therapeutischen, auch aus sozialen und Kostengründen - wird im Schlusskapitel dieses Buches noch einmal als wichtige Zukunftsorientierung unserer Gesellschaft aufgegriffen.
Noch allzu oft werden jedoch kybernetische Lösungen, wenn sie von der Meinung der gerade herrschenden Forschungspäpste abweichen, von den gleichen Institutionen unterdrückt, die andererseits haltlosen Versprechungen auf den Leim gehen. Eine Praxis, die ich selbst durch das Abwürgen meiner eigenen immunologischen Untersuchungen durch die DFG und die Max Planck Gesellschaft auf Betreiben des Heidelberger Krebsforschungszentrums (damals herrschte noch "Krebspapst" K. H. BAUER mit seiner dogmatischen, jegliche Immunwirkung abstreitenden "Stahl- und Strahltherapie") zu spüren bekam. Dass der Krebs nur mit Operation und Bestrahlung bekämpft werden kann und mit dem Immunstatus des Menschen nichts zu tun hat, mag für einige spezielle Tumoren gelten. Die Tatsache, dass aber die meisten Krebsarten, insbesondere die Bildung von Metastasen, sehr wohl eine starke immunologische und psychosomatische Komponente haben und entsprechenden Therapien zugänglich sind, war seinerzeit ein Tabu.
Es hat 30 Jahre gedauert, bis die Untersuchung der 1969 von meinem Team erstmals aus der Mistel isolierten krebshemmenden basischen Proteine, die die immunologische Aktivität der Thymusdrüse und damit die körpereigene Abwehr gegen Tumorzellen stimulieren, durch deutsche und amerikanische Forschungen wieder aufgegriffen wurden, da nunmehr auch eine solche steuernde Wirkung mit der inzwischen allgemein anerkannten immunologischen Seite des Krebsgeschehens vereinbar ist.
Genauso wie für den menschlichen Organismus gilt der gleiche kybernetische Ansatz auch für die Gesunderhaltung unserer Nahrungsquellen, den Schutz unserer Pflanzen und Tierwelt gegen Schädlinge und Krankheitsbefall. Ich brauche hier nicht das Hohelied der nach der BSE-Krise so medienwirksam proklamierten Agrarwende zu ökologischem Anbau und artgerechter Tierhaltung zu singen. Nur so viel, dass sich unsere Nahrungsversorgung auf der Basis eines lebendigen Bodens, der als komplexes Biotop Pflanzen und Tieren eine gesunde Entwicklung bietet, und damit unter Nutzung der natürlichen Regelkreise durchaus im gewünschten Sinne steuern lässt. Dies ist, weiB Gott, billiger und für einen hochwertigen Ertrag nachhaltiger als die im Grunde blinde Manipulation mit genetischen Eingriffen und die damit verknupfte Störung, wenn nicht Zerstörung des restlichen Okosystems mit noch stärkeren Herbiziden und Dopingmitteln als bisher. Damit komme ich zu meinem dritten Beispiel zum Erkennen komplexer Zusammenhänge.

















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